Agilität und Stabilität im Projekt
Grenzen des Day-One-Mindsets
Für welche Projekte ist das Day-One-Mindset gänzlich ungeeignet?
Genau diese Frage habe ich mir im Nachgang zu meinem letzten Beitrag gestellt. Und möchte heute in der Form daran anknüpfen, dass wir die Grenzen des Day-One-Mindsets beleuchten.
Ich als Trainer liebe ja so Gedankengänge und Reflexionen. Denn auf die Hype-Taste kann man leicht drücken. Doch zu erkennen, wann man sich begeistern, anstecken und mitreißen lässt, oder wann man sich lieber bewusst abgrenzt, das ist die hohe Kunst. Let's go!
Hier also meine Sammlung an Gedanken und Projekt-Situationen, in denen Day-One-Mindset nicht meine erste Wahl wäre:
- Wenn es weniger um Wirkung geht und Konformität das entscheidende Leistungskriterium ist.
- Wenn also z. B. zu 100 % feststeht, wie das Ergebnis aussehen muss. Ohne Interpretationsspielraum.
- Wenn strenge Auflagen, Regularien und Gesetze gelten, die ein Rechts und Links des Weges nicht zulassen.
- Und insbesondere, wenn es um Leib und Leben bzw. die Sicherheit geht.
Denn in diesen Situationen ist die Stabilität von Prozessen unerlässlich.
Was nicht bedeutet, dass wir uns direkt ins Umfeld von Krankenhäusern oder der Entwicklung von Impfstoffen begeben müssen. Kritische Delivery-Phasen bei einem IT-Rollout, nehmen wir das Go-Live selbst, eignet sich da genauso als gutes Beispiel. Denn hier liegt der Fokus liegt auf der Fehlervermeidung und der Effizienz. Oder auf gut Deutsch: Da hast du keinen Bock auf irgendwelche wilden Experimente und Änderungen in letzter Minute. Delivery heißt Abliefern!
Gleiches gilt, wenn Teammitglieder überlastet sind.
Jetzt noch eins oben draufzusetzen, wäre kontraproduktiv. Erstmal gilt es die als unsicher empfundene Situation zu stabilisieren. Wieder Land zu sehen. Und das führt mich zum Modell der Dynamischen Stabilisierung von Hartmut Rosa aus seinem Buch „Resonanz“. Ein ziemlicher Schinken. Doch echt hilfreich.
Daher nutz gerne mal das Modell zur Dynamischen Repositionierung zur eigenen Verortung. Wo stehst du gerade mit deinem Projekt?

Ich beginne gleich mit dem Problem, bzw. großen Herausforderung unserer Tage:
- Der Fortwährenden Dynamisierung
- Dem „Höher! Schneller! Weiter!“
- Dem „Stillstand ist der Tod.“
Der ewige Steigerungswunsch. Die Gier nach MEHR, die keine Grenzen kennt. Mit der „Logik des Wettbewerbs“ als angstgetriebene Begründung. Die uns zum Aktionismus antreibt. Und uns dazu bringt, mit falsch verstandener Agilität (neu/anders ist besser) alles noch mehr anzuheizen.
Der Alltag sieht dann schnell wie folgt aus:
- Eine Reorganisation jagt die nächste, bevor die Vorherige überhaupt abgeschlossen ist.
- Interne Projekte überlagern sich in ihren Abhängigkeiten bis zur Unkenntlichkeit und verpuffen in ihrer Wirkung als Ganzes.
- Einsparungs-Initiativen, Kunden-Offensive-Kampagnen, Produktentwicklungs-Programme, Prozess-Optimierungen, und U-Boote-Projekte werden an allen Ecken gestartet ohne Blick auf eine halbwegs realistische Ressourcenverteilung.
- Jede Abteilung strickt schon mal ihren eigenen Notfallplan für den Tag X, an dem auf die anderen Abteilungen kein Verlass mehr ist.
- Und die Ideen, was man noch alles machen könnte, gehen dennoch nicht aus.
Wo oben und unten ist? Keinen Plan! Was richtig und falsch ist? Keine Orientierung! Was gut für uns ist? 100 Perspektiven und Meinungen! Unser Kompass spielt verrückt. Uff!
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Hartmut Rosa bezeichnet das als Eskalationsdynamik
Und die Neurologie kann heute sehr genau beschreiben, was dabei mit uns passiert:
(1) Unser Stressverarbeitungssystem fährt hoch; ist überreizt. Alarmzustand! Der ständige Adrenalinausstoß macht uns rastlos. Unsere allgemeine Stresstoleranz nimmt ab. Es kommt zu Belastungsstörungen. Wie Muskeln, die permanent nur benutzt werden. Ohne Pause und Gegenbewegungen werden sie erst sauer und verkürzen dann allmählich zur Inflexibilität.
(2) Unser Beruhigungssystem fährt runter; kommt nicht zum Zug. Permanente Unruhe macht sich breit. Wir nehmen unser Umfeld zunehmend als unsicher wahr. Wir werden ängstlicher, zögern, finden schwer Orientierung, werden risikoscheu, reizbar, dünnhäutig, impulsiv, aggressiv. Alles ist zu viel! So geht es auch den anderen. Und plötzlich fühlt sich unser Projektalltag bedrohlich an.
Day-One-Mindset in solch einer Situation? Wohl kaum!
Die Soziologie will, dass wir jetzt innehalten. Dass wir uns sortieren. Die Dinge ordnen. Und all die Annahmen, die wir getroffen haben, einem Ökologie- und Realitätscheck unterziehen.
Erst eine solche Repositionierung ermöglicht eine Stabilisierung
Und Stabilisierung heißt dann
- Innovations-Verdichtung
- Standardisierung
- (Neu-)Ausrichtung
- (Re-)Priorisierung
- Fokussierung
Beständigkeit und Verlässlichkeit bringen jetzt Ruhe rein. Durchgängigkeit und Vergleich sorgen für Planbarkeit. Klarheit bringt Präzision für die Innovationskraft. Der Kompass zeigt wieder the true north! Abgrenzen und Distanzieren reduziert die Komplexität. Ressourcen werden gezielt und nervenschonend eingesetzt.

Damit wir dann wieder geerdet und kalibriert sind, für die nächste Dynamisierung
Die gute Nachricht: All das ist mit echter Agilität gemeint und gewollt. Kein Perpetuum-Mobile der Dynamisierung. Sondern ein regelmäßiges, systematisches Planen, Umsetzen, Reflektieren, Konsolidieren, Resümieren, Dazulernen, Neuausrichten, Aufräumen, Zuspitzen.
Nennen wir es gerne Sprintwechsel. Doch dann bitte nicht nur, weil wir Event-Driven arbeiten. Sondern wissen, das jedes Event einem ganz bestimmten Zweck im Modell der Dynamischen Repositionierung dient.
Wo stehst du also heute auf dem Spektrum von Day-One-Mindset und Stabilisierung?
Mit dem Anstoß zur Selbstreflexion, und dem sinnbildlichen Foto meiner Selbst-Reflexion in den Amazon Spheres, lasse ich dich mal alleine.

FAQs zum Day-One-Mindset:
1. Wann ist das Day-One-Mindset im Projektmanagement ungeeignet?
Wenn Projekte strengen Regularien unterliegen, avisierte Projektergebnisse keinen Interpretationsspielräume lassen oder Sicherheit an oberster Stelle steht, ist Stabilität wichtiger als Experimentierfreude.
2. Was versteht man unter Dynamischer Repositionierung?
Ein Modell von Hartmut Rosa, das beschreibt, wie Projekte zwischen Phasen der Dynamik und Stabilität bewusst ausbalanciert werden.
3. Wie kann Stabilität im Projektteam hergestellt werden?
Durch Retros, klare Priorisierung, Standardisierung, Reduktion und Innovations-Verdichtung bzw. das gezielte Aussortieren von Ideen, was man noch alles machen könnte. Denn die Pipeline der Möglichkeiten bzw. das Backlog sind meist zu voll.
4. Welche Risiken entstehen bei zu viel Dynamik im Projektmanagement?
Überlastung, Orientierungslosigkeit, sinkende Effizienz und gesteigertes Konfliktpotenzial im Team.
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