Podcast-Folge #14
Wie du Aufwände treffsicher schätzt

#14 Schätzwert-Methoden – Planning Poker & das Orakel von Delphi

In Folge 11 habe ich es bereits vorweggenommen. Planungsschritte wie das Schätzen von zeitlichen Aufwänden und Budgets ist einer der diskussionsintensivsten Schritte im Projekt überhaupt. Oft geht es da ziemlich heiß und entsprechend emotional zur Sache, ggf. prallen Welten aufeinander. Die einen denken aus der Vogelperspektive, oder „top down“, die anderen mit maximaler Detailtiefe von unten, also entsprechend „bottom up“.


Ein Pingpong-Spiel ist da eine tolle Metapher. Denn wenn es wirklich gut werden soll, braucht es Zeit für dieses hin und her. Denn auch im Projekt sollen gewisse Dinge sitzen bzw. passen und keinesfalls möchtest du ständig von vorne anfangen und wieder nachfeilen.


Am Ende willst du eine klare Absprungbasis festgezurrt haben, denn so kannst du vergleichen, wenn sich etwas ändert. Entweder an deinen Hypothesen oder den Anforderungen des Kunden. Hast du dieses klare, möglichst einheitliche Verständnis am Anfang nicht, dann wird sehr schnell sehr unklar, was eigentlich der genaue Einfluss von Änderungen ist.


Welchen Einfluss haben Änderungen
auf dein Projekt?

In dieser Folge schauen wir uns daher folgendes an:


1. Wie gelingt dir eine profunde Schätzung von Aufwänden?


2. Welche klassischen wie agilen Methoden kannst du dabei anwenden?


3. Was bringt es dir auf lange Sicht, dir die Mühe zu machen?

Ich hatte die Wahl, dir das Ganze an zeitlichen Aufwandsschätzung oder Budgets zu erklären. Da aber die Methoden identisch sind, genau wie das Vorgehen und die Motivation dazu, konzentriere ich mich auf die Zeit.

Vier Methoden zum Schätzen von Aufwänden

Insgesamt habe ich dir vier verschiedene Schätzwertmethoden mitgebracht, sowohl aus dem klassischen Projektmanagement als auch aus dem Agilen. Hier kommen alle vier im Überblick, damit du ihre Bezeichnung schon mal gehört hast. Danach gehen wir jeweils ins Detail.

1) Schätzen auf Basis von Analogien
2) Die Parametrische Schätzung
3) Die 3-Zeiten-Methode
4) Das Planning Poker Spiel – und wie es sich von der Delphi Methode unterscheidet. Die gebe ich also Bonus heute obendrauf.

1. Analogien

Wir starten mit der Schätzung auf Basis von Analogien. Insbesondere starte ich deshalb damit, weil das unsere intuitive und damit zumeist erste Art und Weise ist, Dinge abzuschätzen. Nämlich auf Basis von Erfahrungswerten.

Haben wir schon mal etwas ähnliches gemacht?

In deinem Projekt bedeutet das, dass du und dein Team überlegen „Haben wir schon mal etwas ähnliches gemacht?“ Wenn ja, wie lange hat es dort gedauert? Wie viel Aufwand haben wir da hineingesteckt?


Fehlen dir selbst die Erfahrungswerte? Dann kannst du Lessons Learned aus anderen Projekten durchschauen. In jedem Fall willst du hier nicht pi mal Daumen irgendetwas annehmen, sondern dein Bezugspunkt ist stets eine Analogie aus der Vergangenheit, die du in die Zukunft projizierst. Sie wird vor allem dann angewandt, wenn zu deinem eigenen Projekt relativ wenig Informationen vorliegen. So z. B. in der frühen Phase, also zu Beginn des Projekts. Oft holst du dir dann besagte Expert:innen hinzu, die in der Vergangenheit mit einer vergleichbaren Arbeit betraut wurden.

2. Parametrisch

Darüber kann es dann geschehen, dass du auf die sogenannte Parametrische Schätzung stößt. Nehmen wir an, bei dir geht es um ein Bauprojekt. Sagen wir eine Autobahn. Der Experte oder die Expertin sagen dir, dass sie im Schnitt eine Wochen für 100m Autobahn benötigen. Ist der Autobahnabschnitt in deinem Projekt nun 10km lang, hast du eine erste Schätzung, wie lange dein Projekt dauern könnte. Nämlich 100 Wochen, also gut zwei Jahre.

Okay, das ist extrem grob.


Daher noch ein zweites Beispiel. Nehmen wir eines aus der IT. Wenn deine Programmierer:innen wissen, dass sie i.d.R. einen Tage für 100 Zeilen Code benötigen und ihr schätzt den Umfang des neuen Features in der App auf 500 Zeilen, dann sollte das in einer Woche klappen. Zumindest das Coden. Sicher wollt ihr noch Zeit für Testing und Debugging einplanen. Vielleicht hält dich das aber nicht von einem Beta-Release ab.

In jeden Fall sollte damit die Parametrische Schätzung klar sein. In dieser Folge geht es ja schließlich um den Aufwand, nicht um einen Release Plan oder die Fertigstellung.

3. 3 Zeiten

Kommen wir zur dritten Schätzwertmethode, der 3-Zeiten-Methode. Diese ist extrem populär, daher schauen wir sie uns genauer an.
Dass sie populär ist, erkennst du schon an den weiteren verschiedenen Namen, die diese Methode hat. So hast du vielleicht schon einmal von der „3-Point-Estimation“ gehört. So heißt sie im Englischen.


Oder der „PERT-Methode“. PERT steht als Akronym für Program Evaluation and Review Technique. Ins Deutsche wir das mit Ereignis-Knoten-Darstellung übersetzt.

Bevor es aber zu abgefahren und verwirrend wird, konzentrieren wir uns beide darauf, wie sie funktioniert. Das ist nämlich recht unkompliziert.

Sexy ist, dass die Methode wieder sehr intuitiv funktioniert. Wie der Name 3-Zeiten-Methode schon sagt, schätzen du und dein Team für das jeweilige Arbeitspaket stets genau drei Zeiten

1. Da haben wir zum einen die optimistische Schätzung. Wenn alles wie geschmiert läuft, wie viele Stunden an Aufwand bringt die Arbeit dann mit sich?

Mach das ruhig mal mit einem Arbeitspaket aus deinem Projekt.

2. Die zweite Zeit ist die wahrscheinliche Schätzung. Sprich: Wie lange braucht ihr, wenn alles läuft wie immer bzw. wie gewohnt? Mit den üblichen Wehwehchen, Urlauben, Krankheitsausfällen, Störungen zwischendrin usw. Ich übertreibe ein wenig, du weißt aber was ich meine. Wir sind hier definitiv nicht beim absoluten Optimum, sondern eben dem was i.d.R. auch realistisch an Aufwand drinnen steckt. Kein Schönreden, kein Weichzeichnen.

3. Du hast es dir schon gedacht, genau, das ist die pessimistische Schätzung. Erst vor 2 Folgen haben wir ja über Risiken gesprochen. Was ist also, wenn diese auch in gewissem Maß eintreten? Wie viel Aufwand steckt dann, aus der Brille der/des Pessimist:in in deinem Arbeitspaket? Nimm dir auch hier einen Moment. Oder nimm die Methoden mit in dein Projekt.

Wahrscheinlich / pessimistisch / optimistisch:

Ganz sicher findest du in deinem Team eine:n Realist:in, eine:n Optimist:in, eine:n Pessimist:in. Es kann auch jemand für euer Modell die jeweilige Position einnehmen, ohne dass die Person einen besonders optimistischen oder realistischen Charakter hätte – du weißt, was ich meine… i.d.R. hast du keine Probleme, die passenden Leute zu finden. Alle drei Facetten stecken in unserem Naturell, bei dem/der einen mehr bei der/dem anderen weniger.

Zwei Wahrscheinlichkeits-Formeln

Was machst du nun damit? Je nach Lehrbuch gibt es nun zwei verschiedene Formel. In jeden Fall beschreiben beide eine Wahrscheinlichkeit, die sich aus der Verteilung deiner drei Werte ergibt. Wir schreiben mal beide auf und rechnen jeweils aus, was rauskommt, indem wir deine Zahlen einsetzen und vergleichen auf diesem Weg beide Formeln.

  • Formel Nr. 1 lautet: (O+ML+P):3
    O … für optimistischer Wert
    + ML … für most likely (das ist dein realistischer Wert)
    + P … für pessimistischer Wert

    Diese drei Komponenten summierst du auf und teilst das Ergebnis durch 3. Das ist die Dreiecks-Verteilung oder auch „Triangular Distibution“. Das Schaubild dazu findest du hier und in die Shownotes verlinkt.

    Setz du gerne deine eigenen Schätzwerte ein. Ich arbeite mal mit fiktiven Zahlen, um es all denen zu verdeutlichen, die jetzt nicht mitgeschrieben haben. Setzen wir für die optimistische Schätzung 2 Stunden ein, für die realistische 3 Stunden und für die pessimistische 7 Stunden. Dann lautet die Formel mit eingesetzten Werten 2 + 3 + 7, das macht 12 Stunden. Und das teilen wir durch 3. Macht 4 Stunden. Und damit willst du dann weiter kalkulieren. Denn das ist der Wert, der am wahrscheinlichsten ist und mit dem du jetzt weiter arbeitest.

  • Formel Nr. 2 ist sehr ähnlich und heißt Beta-Distribution oder Beta-Verteilung. Die Formel lautet hier:
    [O + (4 x wahrscheinlicher Wert) + P] : 6

    Noch mal langsam Schritt für Schritt:
    O + (4 x der wahrscheinliche Wert)
    + P
    geteilt durch 6.

    Setzen wir hier dieselben Werte wie oben ein, dann ergibt sich 2 + (4 x 3) + 7 = 21. Die 21 teilen wir durch 6. Das ergibt nun 3,5 – als deinen wahrscheinlichen Wert.

Wie du siehst, weicht der Wert, den du mit Formel 2 erhältst, im Vergleich zur vorhergehenden Berechnung leicht ab. Und zwar tendiert er eher in Richtung des realistischen Werts. Das liegt am Aufbau von Formel 2, die dem realistischen Wert mit dem Faktor 4 mehr Gewichtung zuweist als den anderen beiden Parametern. Im Prinzip kannst du so sogar deine eigene Wahrscheinlichkeitsformel entwickeln. Die Basics hast du jetzt drauf.


Wichtig ist, damit ihr es nicht komplizierter macht als es ist, arbeitet ab dort nur noch mit diesem einen Wert weiter. Genial daran ist, dass er verschiedene Sichtweisen und Meinungen berücksichtig, also die Diversität im Projekt widerspiegelt. Ich mag die Formel und Herangehensweise daher besonders. Sie ist schnell und effizient.

4. Planning Poker

Wenn du dasselbe willst, nur mit mehr Diskussionen, dafür aber der Chance noch weiter ins Detailverständnis zu gehen, dann gefällt dir die vierte und letzte Methode für heute. Das Planning Poker Spiel.

Planning Poker als Methode kommt aus dem Agilen und basiert auf der Delphi Methode, die von der Vorgehensweise her sehr sehr ähnlich funktioniert. Wobei das Planning Poker logistisch etwas weniger aufwendig und dynamisch und auch unterhaltsamer ist.

„Planning Poker ist dynamisch und unterhaltsam.

Wie läuft das Planning Poker Spiel genau ab?

Jeder und jede in deinem Team, der/die den Zeitaufwand des Arbeitspakets schätzen soll, bekommen eine unbedruckte Karte in die Hand. Ein leeres Blatt Papier tut es auch.

Dann wird das Arbeitspaket benannt und soweit erklärt, wie schon eine Beschreibung dafür vorliegt. Außerdem klärt ihr offene Fragen dazu.

Anschließend schreibt jede:r für sich die Anzahl der Stunden auf das Kärtchen oder leere Blatt Papier, die er oder sie meint, dass es an Aufwand kostet. Natürlich verdeckt, sodass niemand der Beteiligten die Zahl sieht.

Dann drehen alle ihre Karte gleichzeitig um. Jetzt siehst du von allen auf einmal, was sie geschätzt haben. Das ist meist der spannendste Moment.

Klar, jetzt gleicht ihr ab. Wie weit liegen die Schätzungen auseinander?

Ist der Unterschied nur marginal, sagen wir alle haben 3 oder 4 Stunden geschätzt, nehmt ihr den Mittelwert und macht mit dem nächsten Arbeitspaket weiter.

Gibt es hingegen deutliche Ausreißer nach oben wie unten, beschreiben die jeweiligen Besitzer:innen der Karte, wie sie darauf gekommen sind. Und tauschen auf dem Weg ihre Annahmen und Prämissen mit dem Rest des Teams aus. Du merkst, worauf das hinausläuft: Das Team diskutiert, um diese wichtigen Prämissen allen transparent zu machen und deren Bedeutung richtig zu beleuchten. Dabei kann schon mal etwas Zeit ins Land gehen.

Besonders, weil dann nicht etwa ein Konsens gesucht wird. Sondern weil ihr das Spiel dann wiederholt, sozusagen Runde 2. Wieder hat jede:r Zeit für sich und notiert verdeckt seine bzw. ihre neue Schätzung auf Basis der vorangegangenen Diskussion und auf Basis dieser ggf. neuen Informationen. Spannend ist nun zu sehen, inwiefern wer dies auch wirklich berücksichtigt. Oder ob die Argumentation auch stichhaltig und überzeugend genug war.

Dann drehen wieder alle gleichzeitig die neuerliche Schätzung um. Das Spiel geht je Arbeitspaket in so viele Runden, bis überall Schätzwerte stehe, die die Beteiligten bereits sind, mitzutragen.

Tipp für eure Planning Poker Runde:

Es müssen nicht alle alles schätzen. Es sollten lediglich die an der Schätzung beteiligt sein, die die Arbeit überhaupt beurteilen können. Sonst wird das ein echt zäher Prozess.

Unterschied zur Delphi-Methode?

Was ist nun der wesentliche Unterschied zur Delphi-Methode? Von der hast du ggf. schon gehört. Nun, die ist darauf ausgelegt, dass die an der Schätzung Beteiligten gar nicht in einem Raum sind. Daher gibt es eine:n Koordinator:in, der/die jeweils die Kärtchen bspw. via Email verteilt und wieder einsammelt.

Und dann aber nicht etwa den anderen sagt, was der Rest geschätzt hat, sondern darauf besteht, dass die Beteiligten die Prämissen sauber dokumentieren. Diese gleicht er ab und verteilt dann nach der ersten Rund ein neues, vollständigeres, für alle einheitliches Prämissen-Set mit der Aufforderung, darauf basierend erneut zu schätzen.

Das Ziel ist hier, neben den Werten vor allem auch die zugrundeliegenden Prämissen zu sammeln, zu strukturieren und zu dokumentieren. Der Austausch läuft, so lange es der/die Moderator:in oder Koordinator:in für sinnvoll hält.

Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass er asynchron von statten gehen kann. Ihr müsst also nicht alle gleichzeitig in einem Raum oder einer Videokonferenz sitzen. Ein zweiter Vorteil ist sicher die geringere emotionale Beteiligung, weil man sich ganz sachlich auf die Fakten, die Prämissen fokussieren kann.

Der Nachteil ist der extreme zeitliche Aufwand, da sich die Schätzung sehr lange hinziehen kann. Genau wie die Tatsache, dass ein anonymer sehr passiver Dialog entsteht. Beim Planning Poker geht es sicher dynamischer her. Mit allen Risiken der gegenseitigen Beeinflussung und der Gefahr, dass insbesondere die Lauten das Spiel dominieren.

Resümee

Fassen wir noch einmal zusammen. Du kennst jetzt vier (und mit der Delphi-Methode sogar fünf) verschiedene Methoden, um Aufwand zu schätzen. Ganz egal, ob es sich um zeitlichen Aufwand, die Dauer oder das Budget handelt. Benutzen kannst du die Methoden für Zeit wie Geld oder auch für andere Größen, falls dir noch was einfällt, das ihr schätzen könntet.

Die Methoden funktionieren in klassischen wie agilen Projekten gleichermaßen. Außerdem zeigen sie eine Chance auf, um das Team auf denselben Nenner zu bringen, systematisch Annahmen und Prämissen genau wie Erfahrungswerte auszutauschen.

Und das ist auch der Grund, warum so viel Wert in diesem Teil der Projektplanung steckt.
Es mag mühsam sein, doch du erahnst welch krassen Grundstein ihr damit im Projekt legt. Ihr wisst genau, wo ihr steht, was ihr wisst, und wo es noch Lücken gibt. Und das ist eine der größten Herausforderungen jedes Unternehmens: zu wissen, was es weiß.

Und da könnten wir jetzt alle nach einem tollen Wiki-Tool rufen … am Ende des Tages geht jedoch nichts über den Austausch zwischen den Stakeholdern und Teammitgliedern. Mit dieser Kernbotschaft schließe ich die heutige Folge und würde mich freue, wenn du auch bei der nächsten, Folge #15, wieder dabei bist.

Bis dahin wünsche ich dir gutes Gelingen. Auf zur Brillanz!

Chris

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